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PRIMAVERA TRIFFT HERBST
Die vergangenen Wochen hatten es wirklich in sich. Angie und Walter sollten sich vor einem Millionenpublikum streiten und haben es verpatzt. Ende letzten Monats mussten dann die ollen Urnen wieder aus den Katakomben geholt und entstaubt werden. Deutschland hat gewählt und ab sofort regiert die Janosch-Partei. Die Kanzlerin und der Vizekanzler haben nun vier Jahre Zeit, um echte Frauenpower zu proben.
Ulla hat ihr unversichertes mobiles Büro wieder, braucht es nun aber nicht mehr. Dafür kann sie sich von ihrer 8.410,00 Euro – Pension in Denia jetzt ganz oft einen angemessenen Mietwagen leisten. Hoffentlich kommt sie nicht auf die Idee, ihre zahlreichen Urlaube ab sofort global auszudehnen, um missionarisch in Südamerika aktiv zu werden.
Guido sollte doch eigentlich richtig glücklich sein. Ist er scheinbar wohl auch, aber einen leicht schalen Beigeschmack hat der automatisch gewonnene Preis ‚Außenminister‘ ja: Die Mehrheit der Deutschen möchte ihn nicht auf dem internationalen Parkett sehen. Irgendwie verständlich. Den einen oder anderen Termin müsste Guido wohl gemeinsam mit seinem Mann Michael wahrnehmen. Das wirft nicht nur eine unüberwindliche Abendkleidfrage auf, sondern auch eine Vorabauslosung, wer von den beiden am Damenprogramm teilnimmt. Selbst Horst Schlämmer möchte hier keine Entscheidung treffen müssen und zieht einen friedlich-bockigen Tod vor.
Der eh schon durch das familiäre Erbe gebeutelte Pedro soll plötzlich erklären, wie ein relativ geringer Pachtzins für viele Hektar und Jahre zustande kommt. Aus der Kamenate des Landwirtschaftsministeriums dringt die Stimme zur Enteignung von Vielbesitz verzerrt durch die Mauern – eine derartige Vereinbarung über 15 Jahre passt dann natürlich nicht in die Wahlversprechen des Agraambitionierten.
Aber all das juckt den Rucksackeroberer nicht, der, ausgestattet mit dem Sparangebot vom Discounter, Uruguay stürmt und in den Tiefen seines Survival-Baggage ganzjährig Verbesserungsideen aus Deutschland einschmuggelt.
Einen militärischen Reservisteneinsatz muss das Flughafen- und Bahnhofskopfkissen hier zwar nicht befürchten, aber es wird sich kaum gegen den Träger wehren können, der dem mit Alugestell, Extratasche für Handy, GPS-Kompass und Flaschenhalter ausgestatteten Hightech-Kameraden den Feriaeinkauf oder das Stullenpaket inklusive ausreichender Pilsenversorgung zumutet. Farblich von Revolutions-Schwarz über Emanzenlila bis hin zum 70er-Jahre-Giftgrün outen diese bedauernswerten Dinger den deutschen Träger sofort.
Zur Aufbewahrung diverser Termin- und Adresszettel eignen sich Outdoorwesten oder –pants mit ihren zahlreichen kleinen und größeren luftdurchlässigen Taschen besser. Der Traum vom echten deutschen Dorf mit reeller Handwerkskunst, Lehranstalt, futuristischer Paternoster-Hängeregistratur und Alternativdoktor einiger Möchtegernhierlebenden hat sich bisher in Uruguay noch nicht etabliert, aber die eine oder andere Lokalität wurde zur rezidiven Sammelstelle erklärt. Ohne Weste oder Vieltaschenhose würde man doch glatt diese wichtigen und berauschenden Vereinstreffen versäumen.
Mein Mitleid gilt denjenigen, die generell (oder wohlweislich??) den falschen Monat für eine Stippvisite ins Land der vermeintlichen Baströckchen wählen und so an den philosophischen Tiefschürfungen, gestärkt durch Johnnie und Hüfttörtchen, nicht teilhaben können.
Ernsthafte Zukunftsfragen könnten bei der Gelegenheit zur allgemeinen Zufriedenheit und abschließend erörtert werden. Selbst banale Allgemeinplätze bekämen durch einen zufälligen Geistesblitz Redezeit.
So aber bleiben seriöse Probleme unbeantwortet oder werden mit prätentiöser Omniszienz vom virtuellen Tisch gefegt.
Hatte ich eigentlich schon einmal erwähnt, dass auch die Uruguayer in geselliger Runde gern, reichlich und detailliert lästern? ;)
© VINTAGE
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